Sie haben die Wahl!
Am 19. Januar 1919 war es so weit: „Sie haben die Wahl!“ Frauen gehen in der Weimarer Republik erstmals zu den Wahlurnen. Ein Meilenstein auf dem Weg der Demokratie, der eigentlich schon lange hätte selbstverständlich sein sollen, aber er musste von Frauen hart erkämpft werden.
Heute frage ich mich: „Sind 100 Jahre eigentlich viel oder wenig?“ Denn manche Ziele, die sich Frauen vor über 100 Jahren setzten, sind bis heute nicht wirklich erreicht: So kämpfte Marie-Elisabeth Lüders, die 1919 zu den 37 Frauen (von 423 Abgeordneten) im Weimarer Parlament gehörte, gegen Mädchenhandel und für eine Welt, in der es keine Prostitution mehr gibt. Wer heute mit offenen Augen durch die Bahnhofsviertel großer bundesdeutscher Städte geht, sieht, wie unvollkommen dies Ziel selbst in Deutschland umgesetzt ist.
„Sie haben die Wahl!“: Als M.-E. Lüders sich zur Wahl stellte, gingen 80% !! der Frauen zur Wahl. Und heute?! Junge Frauen sind die Bevölkerungsgruppe, die am seltensten zur Wahl geht. Das ist ein höchst trauriger und sogar gefährlicher Fakt der Geschichte.
Was motiviert mich? Die Wahl zu haben, gehört für mich zu den Grundfesten meines Glaubens und begeistert mich nach wie vor. Jesus zementiert nicht das patriarchale Staats- und Religionswesen seiner Zeit, sondern lebt vor, was es heißt und wie befreiend es ist, die Wahl zu haben. Als er bei Marta und ihrer Schwester Maria zu Gast ist und Marta versucht, bei ihm einzuklagen, dass er Maria zum Helfen in die Küche schicken soll, entgegnet Jesus: „Maria hat eine Wahl getroffen, die jetzt und hier gut für sie ist. Nimm sie ihr nicht weg.“ – und dann schwingt darin mit: „Marta, du kannst auch deine Wahl treffen. Tue das, was jetzt wichtig und richtig für dich ist.“ (Lukas 10,38ff)
Ich möchte das nicht aufgeben, die Wahl zu haben: weder in Gemeinde noch Familie oder Staat. Und Sie?!