Die Entscheidung für eine der Alternativen ist nicht einfach.
In seiner Sitzung am 5. Juli 2018 verabschiedete der Rat der Stadt Remscheid die Gesamtstädtische Mobilitätsstrategie „Mobil in Remscheid“. Erarbeitet vom Fachdienst Umwelt und betreut von Klimaschutzmanagerin Nicole Schulte will dieser Leitfaden Orientierung und Anregungen geben im Hinblick darauf, dass das Remscheider Verkehrsgeschehen demnächst weniger Schaden anrichtet. Weniger Schaden in puncto Klima, in puncto Luftgüte und in puncto urbaner Aufenthaltsqualität. Eingebettet ist das Unterfangen in die Nationale Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums, von daher fließt finanzielle Unterstützung; einbezogen in Form einer Arbeitsgruppe ist eine Reihe verwaltungsexterner Sachkundiger, darunter der Bahnbetreiber Abellio, das Netzwerk „Demographischer Wandel und Verkehrsraum der Zukunft“ der Bergischen Universität sowie die Fahrradfahrvertreter von ADFC und VCD. Ein bereits 2014 formuliertes Ziel aufgreifend will das Strategiepapier eine Verhaltensänderung bewirken: Bis zum Jahr 2022 soll jede zehnte PKW-Fahrt entfallen und die Zurücklegung der entsprechenden Wege, falls unvermeidbar, entweder mit Körperkraft oder mit Bus und Bahn erfolgen. In einer Serie befasst sich der LA/LiB mit dem, was man, ausgestattet mit einer gewissen Zuversicht, den Remscheider Einstieg in die Verkehrswende nennen könnte.
Quelle des geladenen Stroms bleibt oft unerwähnt
Ein Besitzer eines erdölgetriebenen Automobils könnte, konfrontiert mit der Erderwärmungsproblematik, erwidern: „Warum das eigene Verhalten ändern, warum die Mühen, die der Einsatz des körpereigenen Bewegungsapparates kostet, auf sich nehmen, warum längere Reisezeiten, die Bus- und Bahnfahrten in der Regel mit sich bringen, akzeptieren? Ist den Eisbären, den Korallenriffen und den Südseeinsulanern nicht auch geholfen, wenn ich, statt mir PKW-Touren zu verkneifen, ein Fahrzeug mit Elektroantrieb anschaffe? Ein solches hat doch gar keinen Auspuff, aus dem Schädliches herausqualmen könnte. Perfekt, oder?“
„Ja“, so wäre zu antworten, „indem Sie das Umsteigen auf diese Weise praktizieren, sorgen Sie für eine gewisse Entlastung, vor allem hinsichtlich der Qualität der Atemluft in baulich hoch verdichteten Innenstadtquartieren. Doch in Bezug auf das Treibhausgas Kohlendioxid fällt Ihre Bilanz schon nicht mehr so günstig aus. Denn tun Sie das, was die meisten von E-Autos Euphorisierten unterlassen, lenken Sie nämlich Ihre Aufmerksamkeit auf die Herkunft des Stromes, der Ihre Batterien speist, dann werden Sie feststellen, dass es sich zur Zeit um ein Gemisch handelt, zu dessen Zusammensetzung Kohlekraftwerke in nennenswertem Umfang beitragen. Deren Schornsteine fungieren gleichsam auch als Auspuff Ihres Elektromobils – woraus folgt, dass Ihr persönliches Treibhauskonto pro gefahrenem Kilometer mit 105 Gramm Kohlendioxid zu belasten ist. Damit Sie besser dastehen als ein Bahnnutzer, der auf einer gut frequentierten Linie unterwegs ist, müsste ein wesentlich größerer Anteil der von Ihnen verbrauchten Kilowattstunden durch Windkraft und Sonnenlicht entstanden sein. Kämen heute E-Autos in Massen auf die Straßen, schnellte der Stromverbrauch in die Höhe; die Stromsparziele, wie sie etwa durch den Einsatz von Energiesparlampen angegangen werden, gerieten für die nächsten Jahre völlig außer Reichweite. Die Verabschiedung der hochgradig klimaverderbenden Kohleverstromung verzögerte sich weiter.
Um Elektromobilität zu einer von vorne bis hinten sauberen Sache zu machen, muss die Erzeugungsweise des Stroms also stets mitgedacht werden. Ein mittelständischer Unternehmer, der den Strom für seinen Elektro-Lieferwagen durch ein eigenes relativ klimagünstiges Blockheizkraftwerk produziert, ist auf der richtigen Spur. Sollte sich ein Bewohner der Lüttringhauser Altstadt zum Kauf eines Elektrorollers entschließen und zur Betankung desselben ein denkmalbereichsverträgliches Photovoltaikpaneel installieren, hätte er als Klimaschadensvermeider die sichere Seite erreicht. Erst dann könnte man ausrufen: ‚Perfekt!‘ “
Zu ergänzen wäre dieser fiktive Wortwechsel um das Antippen einiger weiterer Schwachstellen. Weil Motorenlärm ab einer Geschwindigkeit von 30 km/h vom Rollgeräusch der Reifen übertönt wird, tragen die leisen Elektroantriebe nur während des Langsamfahrens zur Beruhigung des Straßenraumes bei. Weil ferner die Ladestellenkette noch lückenhaft, die Ladezeit noch lang, die Batterieherstellung im Großserienmaßstab noch unerprobt und die Reichweite noch begrenzt ist, scheint es unangemessen oder mindestens verfrüht, dieser Technik ein uneingeschränktes Loblied zu singen. Und sie hat sich auf dem Markt bisher nicht recht durchzusetzen vermocht, obwohl der Staat mit Prämien für Käufer nicht geizt.
„Wasser ist die Kohle der Zukunft“
Die plakative Prophezeiung von Jules Verne aus dem Jahre 1874 lässt den Blick wandern zum laufenden Wettbewerb der Antriebskonzepte, denn alternativlos ist die Alternative Steckdosenstrom ihrerseits keinesfalls. Wer weiß, vielleicht spielen eines Tages Gase als mitgeführte Treibstoffe eine bedeutendere Rolle. Wasserstoff kann, in Brennstoffzellen eingesetzt, auf direktem Wege Antriebsenergie bereitstellen, oder, mittels Synthese in Me-
than überführt, wie fossiles Erdgas oder aus organischen Resten gewonnenes Biogas über das bereits bestehende Leitungsnetz den gasgetriebenen Automobilen zugeführt werden. So sauber solche Aggregate arbeiten, so unabdingbar ist es auch hier, dass der Energieverbrauch zur Gewinnung der Antriebsenergie in die Klimabilanz einfließt. Solange Wind und Sonne nicht die Hauptlast tragen, ist für die Begrenzung der Erderwärmung nicht viel getan.
Ein bisschen Basketball zum Schluss
Nicht enden sollte dieser kleine Ausflug in die benzin- und dieselfreie Zone, ohne dass der Rebound (das Zurückprallen) als psychologischer Effekt vorgekommen wäre. Ein Effekt, der sich gerade im Zuge der Entwicklung spritsparender Motoren gut beobachten ließ. Damit gemeint ist das Verfehlen eines Ziels, nachdem anfangs alles nach dessen Erreichung ausgesehen hatte: Der Basketball fliegt in Richtung Korb, doch statt ins Netz zu gehen, landet er so am Brett, dass er ins Feld zurückspringt. Die Punktgutschrift bleibt aus. Der umweltbewusste Automobilist wählt beim Neukauf ein Gefährt mit geringerer Schadstoffabgabe, doch statt nun auch umweltfreundlich damit umzugehen und ganz im Sinne der Mobilitätsstrategie auf jede zehnte Fahrt zu verzichten, unternimmt er, von Skrupeln unbeschwert, nicht nur diese, sondern zusätzlich eine elfte, eine zwölfte…, wodurch der ökologische Bonus wieder abschmilzt und irgendwann in einen Rückschritt mündet.
Die dritte Folge der Serie Stadtverkehr widmet sich dem Thema: Nicht nichts, aber auch nicht alles mit dem Auto erledigen.
Als Quelle liegt der Serie zugrunde: Stadt Remscheid, Der Oberbürgermeister, Nicole Schulte (Ansprechpartnerin): Gesamtstädtische Mobilitätsstrategie der Stadt Remscheid, Mobil in Remscheid, Remscheid 2018